Landtagspräsidentin Aras diskutiert in JVA Adelsheim 13. Oktober 2025 Demokratiewerbung hinter Mauern. Wenn Demokratie erklärt wird, dann oft in Klassenzimmern, auf Podien oder in Rathäusern. Doch vergangene Woche waren es die Mauern der Justizvollzugsanstalt Adelsheim, hinter denen Landtagspräsidentin Muhterem Aras über Chancen, Regeln und Verantwortung sprach. 15 junge Strafgefangene, die von ihren Mitinsassen als Stockwerks- oder Anstaltssprecher gewählt wurden, hatten Gelegenheit, mit einer der wichtigsten Politikerinnen Baden-Württembergs ins Gespräch zu kommen. JVA-Leiterin Katja Fritsche hieß die Präsidentin des Landtags herzlich willkommen und betonte die besondere Bedeutung der Besuchs. Es sei ein wichtiges Signal, dass Demokratie auch hier nicht Halt mache, sondern in den Dialog gehe, sagte Fritsche. Die Einladung an Frau Aras war vom Anstaltsbeirat ausgegangen, deren scheidender Vorsitzender Ralph Gaukel sowie Bürgermeister Wolfram Bernhardt teilnahmen. Bei Gesprächen mit der Insassenvertretung sei die Frage nach Sinn und Inhalt der Demokratie aufgekommen – BM Bernhardt griff dies auf und stieß bei der Landtagspräsidentin, die zum Festakt für das 50-jährige Stadtjubiläum Adelsheims die Stadt besuchte, auf offene Ohren. Bevor es zur Diskussion mit den Jugendlichen ging, ließ sich Aras von Schulleiter Jochen Knühl über das Bildungsangebot in der Anstaltsschule informieren. Knühl stellte die vielfältigen Möglichkeiten dar, die den Gefangenen offenstehen – vom Nachholen von Schulabschlüssen bis hin zu Förderangeboten, die den Weg in Ausbildung und Arbeit ebnen sollen. Zu Beginn des Gesprächs mit den Insassensprechern stellte Aras ihre Funktion im Landtag vor: „Ich bin die Schiedsrichterin der Demokratie“, sie habe ihr Amt unparteiisch auszuüben, erklärte sie. Wie im Fußball gehe es in der Politik leidenschaftlich, manchmal hitzig und kontrovers zu, „doch ohne Regeln funktioniert kein Spiel.“ Mit dieser Fußball-Metapher, an die sie im Laufe der Diskussion immer wieder anknüpfte, schaffte sie bei den jungen Zuhörern einen direkten Zugang – auch wenn nicht jeder sich wie Aras als leidenschaftlicher VfB-Fan bekannte. Sehr persönlich berichtete Aras von ihrer eigenen Herkunft. Aufgewachsen in einem kleinen Dorf in Ostanatolien, ohne Strom und fließendes Wasser, kam sie als Zwölfjährige mit ihrer Familie nach Deutschland. Besonders die Rolle ihrer Mutter hob sie hervor: „Ihr war der Schulbesuch aus traditionellen Gründen verwehrt, sie kam als Analphabetin nach Deutschland. Aber sie hatte einen riesigen Bildungshunger und hat uns Kindern immer gesagt: seid fleißig und anständig – lernt, lernt, lernt!“ Diesem Appell sei die Familie gefolgt – und so sei aus der Tochter einer Analphabetin und eines Gastarbeiters über Hauptschule, danach Abitur und Studium – “die erste in unserer Familie” – zunächst eine Steuerberaterin und später die Präsidentin des Landtags geworden. Ihren Eltern und den Menschen in Baden Württemberg sei sie sehr dankbar, aus einem Land kommend ohne Demokratie und Gleichberechtigung, wo ihre kurdische Muttersprache verboten war, habe sie erlebt: „In Deutschland zählt nicht, wo du herkommst, sondern wo du hinwillst“, betonte Aras mehrfach. Baden-Württemberg sei ein Land der Chancen – wenn man bereit sei, sich anzustrengen. Und wo man auch eine zweite Chance erhalte, wenn man Fehler gemacht habe. Gefragt nach ihrem Weg in die Politik – “und weshalb zu den Grünen?” schilderte die Präsidentin zunächst, dass sie empfunden habe, der Gesellschaft etwas zurückgeben zu müssen, weshalb sie sich zunächst ehrenamtlich engagierte. Nach den fremdenfeindlichen Morden und Brandstiftungen Anfang der 90er Jahre habe es sie in die Politik getrieben, wobei sie sich verschiedene Parteien angeschaut habe. Den Ausschlag für die Grünen habe letztlich deren konsequente Gleichberechtigungspolitik für Frauen und Minderheitenschutz gegeben. Aras verschwieg auch nicht die Schattenseiten ihres Amtes. Immer wieder sei sie mit Anfeindungen konfrontiert, auch im Parlament. Sie habe Abgeordnete wegen beleidigenden oder respektlosen Verhaltens vom Polizeidienst aus dem Landtag bringen lassen müssen – eine Konsequenz, die ihr Hasskampagnen und nötigen Personenschutz für sich und ihre Familie einbrachte. „Das hat die Gefangenen beeindruckt“, merkte ein Beobachter an – Demokratie, so wurde klar, ist nichts Abstraktes, sondern muss im Alltag und in den Institutionen verteidigt werden. Respektvoller Austausch um den besten politischen Weg Wie Gefangene aus dem Projekt „ReSo”, dass dem beruflichen Übergangsmanagement dient, sich mit Demokratie auseinandersetzen, stellte ReSo-Mitarbeiter Stefan Bautz vor. Auf drei großformatigen Plakaten war ihre Sicht auf Demokratie festgehalten. Auf diese Arbeiten nahm die Landtagspräsidentin in der Diskussion auch mehrfach Bezug. Diese verlief bemerkenswert konzentriert und respektvoll, wie die Besucherin anerkennend feststellte. Die jungen Männer stellten sachliche, pointierte Fragen: Warum wird die Ukraine unterstützt, die Kurden aber nicht? Müsste Deutschland nicht mehr für die Menschen in Gaza tun? Wie gelingt sozialer Zusammenhalt, gerade für Rentner oder Benachteiligte? Und was bedeutet Frieden in einer Welt voller Krisen? „Das sind genau die Fragen, die mir auch in Gesprächen außerhalb der Gefängnismauern gestellt werden“, betonte Aras. Sowohl Ralph Gaukel als auch Muhterem Aras unterstrichen zum Abschluss der Diskussion die große Bedeutung des Ehrenamts. Ehrenamtliches Engagement, so betonten beide, sei ein tragender Pfeiler des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Aras ermutigte die Jugendlichen ausdrücklich, nach ihrer Entlassung Chancen zu nutzen, in diesem Bereich aktiv zu werden, Verantwortung zu übernehmen und ihren Platz in der Gesellschaft zu suchen. Nach Abschluss der Diskussion nahm sich Aras noch eine halbe Stunde Zeit, um im Hafthaus G1 das Projekt „Your Future“ kennenzulernen. Im Gruppenraum berichteten Beamte, Fachkräfte und Insassen gemeinsam über das Konzept, das zur Suchttherapievorbereitung auf regelmäßige Meetings, Nähe und vermehrte Betätigungsmöglichkeiten setzt. Ziel sei es, den Jugendlichen Strukturen und Perspektiven zur Verantwortungsübernahme zu vermitteln – ein Ansatz, der auch die Landtagspräsidentin sichtlich beeindruckte. Zum Ende des Besuchs zeigte sich Aras tief beeindruckt von Disziplin, Konzentration und Ernsthaftigkeit der jungen Strafgefangenen sowie den vielfältigen Vorgehensweisen der Anstalt zur Perspektiv-Verbesserung für die Inhaftierten. Für Anstaltsleitung und Beirat war der Nachmittag ein bedeutendes Zeichen: Demokratie lebt vom sachlichen Streit, vom Respekt und vom Zuhören – Prinzipien, die auch hinter Gefängnismauern gelten müssen.