Vortrag und Diskussion in der Stadthalle zu „Mythen der Elektromobilität“

Eine Vorlesung sonntags um 11 – man konnte gespannt sein, wie viele Interessierte am Vormittag den Weg zur Auftaktveranstaltung des ersten Buchener Mobilitäts-Sonntages in die Stadthalle finden würden. Gut 50 Besucherinnen folgten der Einladung des Grünen Kreisverbandes, der mit Professor Dr. Rainer Klein, Leiter des Studiengangs Mechatronik an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Mosbach, einen hochkarätigen Experten zum Thema „Elektromobilität“ gewonnen hatte. Bevor dieser sich daranmachte, Märchen und Mythen über die Unzulänglichkeit der Elektromobilität mit wissenschaftlichem Sachverstand zu kontern, begrüßten Amelie Pfeiffer, Buchener Kreisrätin und Kreisvorsitzende der Grünen, und Horst Berger, federführend verantwortlich für das Programm und das Zusammenwirken mit Vorsommerfest und Stadt Buchen, Referenten und Gäste. Bürgermeister Roland Burger betonte in seinem Grußwort, dass er trotz Terminstresses gerne beim „Stuttgarter Koalitionspartner“ spreche und dem „ersten Mobilitätssonntag“ Erfolg wünsche. Er unterstrich, dass die Bewältigung der Herausforderungen des Klimawandels keinen Aufschub dulde und sich deshalb parteipolitisches Geplänkel verbiete. Zur von den Buchener Grünen aufgeworfenen weitreichenden Frage „Wie gestalten wir Verkehr auf dem Land klimaneutral?“ schilderte er die in Buchen bereits gegangenen Schritte wie z.B. dass Radwegekonzept, „auch wenn es Horst Berger nicht weit genug geht“, wie er augenzwinkernd anmerkte. Die bereits durch regenerative Energieerzeugung erreichte Klimaneutralität, die bei Realisierung neuer Windräder und Freiflächenphotovoltaik absehbar über 300 % Eigenbedarf erreiche und das am Vortag erfolgreich gestartete „Stadtradeln“ mit über 500 Teilnehmerinnen in 33 Gruppen sah er ebenso als Beiträge wie die Umrüstung der Dienstwagenflotte auf Hybrid- und Elektrofahrzuge sowie auch Diensträder und die Bemühungen der Stadt, ein Car-Sharing-Angebot nach Buchen zu holen.

Professor Klein schilderte eingangs seines Vortrages, dass er sich 2019 aufgrund negativer Presseberichterstattung und auch eigener Vorurteile und Skepsis eingehend mit den gängigen Behauptungen „Elektroautos sind teuer, haben Probleme mit der Reichweite, sind leicht brennbar und klimaschädlicher als Verbrenner u.a.“ auseinandergesetzt und seinen Vortrag über die „Mythen der Elektromobilität“ entwickelt habe. Er lud das Buchener Publikum ein aktiv am Vortrag mitzuwirken und ihm zunächst zwei Fragen via Handy zu beantworten: „Was denken Sie, wenn Sie Elektromobilität hören?“ und „Welche Fakten sprechen Ihrer Meinung nach gegen Elektromobilität?“.

Gegenüber der Elektromobilität herrsche noch immer eine große Skepsis, sagte Klein. Laut einer vom „Focus“ im Frühjahr veröffentlichten Befragung glaubten 75 Prozent der Deutschen, dass sich die Elektromobilität nicht durchsetzen werde. Er führte die Skepsis vor allem darauf zurück, dass von „bestimmten Interessengruppen“ gezielt Falschinformationen verbreitet würden und der Mensch aufgrund seiner psychische Konstitution grundsätzlich keine Veränderung wolle: „Das ist ein psychologisches Phänomen. Veränderungen verunsichern.“ Und gerade durchlebe man notgedrungen, infolge Klimakatastrophe und Putins Angriffskrieg auf die Ukraine, einen „umfassenden Energiewandel“, in dem die Mobilität nur ein Teil sei.

Mit den vier in Buchen am höchsten gerankten „Gegenargumenten“ setzte sich Klein dann dezidiert auseinander. 21 % des der E-Mobilität erkennbar zugeneigten und diskussionsfreudigen Publikums – Klein: „ich würde lieber richtige Gegner überzeugen!“ – betrachteten E-Autos als zu teuer. Dem stellte Klein Kostenvergleiche u.a. des ADAC gegenüber, die durchgängig in allen Fahrzeugklassen sowohl einen Betriebskostenvorteil wie auch einen Gesamtkostenvorteil für die E-KFZ ergaben. Im Momentan sei das Problem, dass mangelnde Verfügbarkeit und hohe Nachfrage die Preise in die Höhe trieben, dies jedoch auch bei Verbrennerfahrzeugen gelte.

Zu geringe Ladeinfrastruktur und zu lange Ladezeiten waren die zweit- und vierthäufigsten Einwände bei der Publikumsumfrage. In Deutschland gebe es ca. 30.000 Ladesäulen für eine Million Elektroautos. Dem stünden nur 14500 Tankstellen für 40 Millionen Verbrenner gegenüber, wenn auch mit mehreren Zapfsäulen. Klein: „Das Problem ist, dass Ladesäulen unauffälliger sind. Daher nimmt man sie weniger wahr.“ In Buchen gebe es aktuell zwei öffentliche Schnell-Ladestationen (22 KW/h) und 12 reguläre Ladepunkte mit 11 kw/h, Bürgermeister Burger ergänzte, dass die Pfalzwerke im Rahmen eines Bundesprogramms 4 – 6 weitere Schnelladestationen in Buchen bauen würden. In der Regel lade man das Fahrzeug, wenn es ohnehin stehe – zu Hause (65%), beim Einkaufen oder am Arbeitsplatz. Klein räumte ein, dass die Bewohner von Mietwohnungen ohne Ladesäulen es schwerer haben, ihre Autos aufzuladen, weshalb der erfolgende Ausbau der Ladeinfrastruktur wichtig bleibe, ebenso deren Vereinheitlichung im Handling.

Die „deutsche“ Reichweiten-Angst – „die Skandinavier sind da viel entspannter“ – sei lediglich ein psychologisches Problem. So würden die meisten Menschen kaum mehr als 20 bis 30 Kilometer pro Tag fahren. Lediglich 4,5 Prozent – meist Berufspendler – brächten es auf mehr als 50 Kilometer pro Tag. Der Anteil der Außendienst-Mitarbeiter mit täglichen Fahrleistungen von über 300 Kilometern sei „verschwindend gering“. „Ich tanke in der Regel einmal pro Woche“. Selbst die Reichweite der ersten E-Autos, die auf den Markt kamen, sei im Normalfall locker ausreichend. Er selbst fahre mit seinem Tesla mit Anhänger zweimal pro Jahr nach Südfrankreich. „Nach 300 Kilometern sollte man eh mal eine Pause machen. Während des Kaffeetrinkens kann man sein Auto aufladen.“ Er komme dank der Ladepausen zwar eine Stunde später, aber deutlich entspannter an.

Die Frage nach Rohstoffen und deren Abbau-Bedingungen war auf Platz drei der Bedenken gelandet, Klein unterstrich ihre Berechtigung. Beim genaueren Blick auf die Gegebenheiten sprächen jedoch auch dies Umweltschutz- und Arbeitsschutz – Argumente nicht gegen E-Autos. So würde Lithium „überall“ gebraucht, unter anderem für Glaskeramik, Schmiermittel, Batterien, Laptops und Handys. Für eine durchschnittliche Autobatterie würden zehn Kilogramm benötigt, die weltweiten Lithium-Reserven würden auf 44 Milliarden Kilogramm geschätzt: „Selbst wenn alle Autos auf dem Planeten mit Akkus ausgestattet werden, gäbe es also kein Problem.“ Zumal die Entwicklung weitergehe. Es sei unklar, ob in Zukunft überhaupt noch Lithium für Batterien benötigt wird: „Und Lithium hat gegenüber Öl auch den Vorteil, dass es recyclebar ist.“ Die Situation bei Kobalt sei analog. Bei dessen Förderung gehe es in erster Linie um Kupfer und Nickel, Kobalt sei nur ein Bei-Produkt. Die großen Minen-Betreiber seien Schweizer Unternehmen, auf deren Arbeitsbedingungen man Einfluss nehmen könne. Rund zehn Prozent der Minen im Kongo seien „Familienbetriebe“, in denen auch Kinder arbeiteten und wo die Stoffströme unklar seien: „Das ist schon seit Jahrzehnten so“, sagte Klein. „Ich will nichts beschönigen. Aber bis E-Autos aufgekommen sind, hat es nie jemanden interessiert, unter welchen Bedingungen gefördert wird. Bei der industriellen Förderung muss auf akzeptable Standards geachtet werden!“

Kursorisch sprach Klein noch die Qualität und Langlebigkeit der Batterien und Fahrzeuge, auf die die Hersteller Garantien zwischen 8 und 10 Jahren sowie 160.000 bis 1.000.000 Kilometer gäben, an und wies nach, dass Elektrofahrzeugen Verbrennern im CO2-Ausstoß um mindestens 50 %, in der Regel über 66 % überlegen seien.

Nach zwei Stunden und dem Dank von Amelie Pfeiffer verlagerte sich das Geschehen in die Haag-Straße, wo eine vielfältige Ausstellung von Alltags-Elektro-Autos und E-Bikes zu besichtigen war und eine Reihe von Fachleuten und Nutzern, darunter auch Professor Klein und NOK E-Mobilitätsbeauftragter Michael Sack, den zahlreichen Interessent*innen Rede und Antwort standen.

Die Buchener Grünen-Verantwortlichen Horst Berger, Anton Fleischmann, Klaus Lampe und Amelie Pfeiffer zogen eine zufriedene Bilanz und sahen sich für ihren großen Aufwand belohnt.